Watership Down von Richard Adams

Die Deutungen, dass es sich bei Watership Down um eine politische, soziale oder psychologische Allegorie handele, sind zahlreich. Kenneth F. Kitchell Jr. hat in seinem Aufsatz viele angeführt.1 Richard Adams selbst hat derlei Deutungen energisch zurückgewiesen. Kitchell verweist darauf, dass Autoren im Hinblick auf die Deutung oder eben Nicht-Deutung ihrer Werke wenig vertrauenswürdig seien. Er selbst argumentiert dahingehend, dass es sich bei Watership Down um ein Epos handele, auch wenn es nicht in Versen geschrieben sei.

Tatsächlich gibt es im Buch Hinweise, dass epische Vorbilder bei der Abfassung des Textes Pate gestanden haben. Regelmäßig erzählen die Kaninchen sich Geschichten. Sie schöpfen aus dem Fundus ihrer Tradition, in deren Mittelpunkt der mythische Held El-ahrairah steht, dessen jeweilige Abenteuer stellvertretend für bestimmte Eigenschaften der gesamten Gattung stehen. Diese Geschichten – die sich die Kaninchen erzählen, um sich zu unterhalten, sich Mut zu machen und sich dergestalt ihrer Tradition zu versichern – haben eine bezeichnende Ähnlichkeit mit jenen Erzählungen, die am Anfang unserer Kultur stehen. Die erste dieser Geschichten „Wie El-ahrairah gesegnet wurde“ ähnelt sicher nicht zufällig dem Mythos von der Vertreibung aus dem Paradies. Der listenreiche und redebegabte El-ahrairah ist an die Figur des Odysseus angelehnt. Die Wanderschaft der Kaninchen, die den ersten Teil der Handlung des Buches bildet, hat eine Ähnlichkeit mit der Odyssee und der Aeneis. Im zweiten Teil der Handlung geht es um die Erbeutung mehrerer Weibchen aus dem Nachbargehege, was an den Raub der Sabinerinnen erinnert.

Watership Down weist also Merkmale eines Epos auf, doch hinsichtlich der literarischen Gattung ist es ein Roman und hinsichtlich der inhaltlichen Intention ist es eine Fabel. Tiere, die eine Religion, eine soziale Ordnung haben, die sich politisch organisieren, die Krieg führen, die einander lehrreiche Geschichten erzählen: Diese Tiere sind wie Menschen. Die Geschichte, die in Watership Down berichtet wird, erzählt einiges über Wildkaninchen, aber noch viel mehr über Menschen. Eine Fabel wie es sie in der Literaturgeschichte zahlreiche gibt, von Reineke Fuchs bis zu Animal Farm.

Der wesentliche Unterschied zur klassischen Fabel der Aufklärung ist die Länge des Buches und der scheinbare Verzicht auf Vermenschlichung der Tiere, die nicht aufrecht gehen und die keine menschliche Kleidung tragen. Die liebevoll detaillierte Schilderung des Lebens der Wildkaninchen verbürgt den besonderen Charme des Buches, seinen einzigartigen Charakter, aufgrund dessen es seinen Platz in der Weltliteratur eingenommen hat. Doch auch wenn Richard Adams viel Wert legt auf die naturalistische Schilderung des Kaninchenlebens, wobei er sich stark an Lockley orientierte,2 so sind seine Kaninchen dennoch Menschen mit vier Beinen und langen Ohren. Die größte Abweichung vom Leben realer Kaninchen ist neben der kognitiven und sprachlichen Begabung die Militanz und Gewalt- bzw. Kriegsbefähigung, die Adams den Fluchttieren andichtet. Diese verortet er vor allem bei den männlichen Tieren, wobei er sich wohl weniger an Raubtieren als an Menschen orientiert hat, bei denen körperliche Gewalt eine Domäne der Männer ist. Dies überträgt Adams auf die Kaninchen und entwickelt daraus die Handlung für die zweite Hälfte des Buches, in der die Gruppe versprengter Rammler Weibchen zur Errichtung eines Geheges zu erbeuten versucht.

Die epische Fabel gestaltet sich vordergründig als spannender Abenteuerroman: Eine Gruppe junger Kaninchen verlässt ihr Gehege, weil einer von ihnen, Fiver, in einer Vision dessen Zerstörung vorausgesehen hat. Fiver versucht vergeblich, das Oberkaninchen des Geheges von der Notwendigkeit der Flucht zu überzeugen. Tatsächlich wird das Gehege wenig später vernichtet werden von Menschen, die das Gehege als Baugrund nutzen, um dort Wohnungen zu errichten. Hazel, Fivers Bruder, schart eine Gruppe von jungen Rammlern um sich und gemeinsam fliehen sie vor der bevorstehenden Katastrophe. Von deren Eintreffen sind nicht alle der Gefährten überzeugt, sondern in der Mehrheit handelt es sich um junge und eher schwächliche Rammler, die keine Chance auf Fortpflanzung haben und die Schikanen der Owsla des Geheges leid sind. Die Owsla – eine militärische Organisation aus den stärksten und klügsten Kaninchen des Geheges – versucht die Gruppe an der Flucht zu hindern.

Immer wieder muss die Gruppe fremdes und gefährliches Terrain durchqueren (ein Wald, ein Fluss, Farmland) und wird von anderen Tieren bedroht (ein Dachs, ein Rabe, Ratten, Katzen, Hunde). Aber für die Handlung entscheidend ist ausschließlich die Begegnung mit anderen Kaninchen. Zunächst treffen sie auf ein Gehege mit großen gutgenährten Kaninchen. Eines von ihnen, Cowslip, tritt ihnen freundlich gegenüber und lädt sie ein, bei ihnen zu wohnen. Die Kaninchen dieses Geheges haben weder Owsla noch Oberkaninchen und sich auch sonst von den Traditionen der Kaninchen entfernt. Sie leben eine morbide Form der Modernität, wirken depressiv und dekadent. Schließlich entdecken Hazel und seine Gefährten, dass die Kaninchen des Geheges mit Salat und Mohrrüben reichlich gefüttert werden von einem Farmer, der auch alle Fressfeinde der Kaninchen schießt. Die wildlebenden Kaninchen werden von ihm gemästet, um einige von ihnen für den eigenen Verzehr mit Drahtschlingen zu fangen und zu töten. Die Kaninchen dieses Geheges wissen dies, verleugnen die tödlichen Schlingen aber. Sie alle profitieren von der reichlichen Nahrung; die Opfer, die mit ihrem Tod für das Leben im Überfluss bezahlen müssen, werden verdrängt.

Die Gruppe um Hazel verlässt das Gehege angewidert und erreicht schließlich eine große Hügelkette, auf deren Rücken sie ihr neues Gehege gründen wollen. Dafür fehlen ihnen jedoch die Weibchen. Diese wollen sie von dem weit entfernt liegenden Gehege Efrafa abwerben, wobei sie mit der Kooperation der Owsla des Geheges rechnen, da dieses anscheinend überbevölkert ist und nicht genügend Platz für alle Kaninchen bietet. Jedoch werden die Abgesandten von dem Oberkaninchen Efrafas und seiner Owsla als Gefangene betrachtet, die gezwungen werden, sich ihnen anzuschließen.

Efrafa wird regiert von General Woundwort, einem außergewöhnlich großen und starken Kaninchen, das das Gehege seiner rücksichtslosen Diktatur unterworfen hat. Woundwort wird dabei nicht nur von absolutem Machtwillen angetrieben, sondern auch von der Idee, ein Gehege zu schaffen, das vom schlimmsten Feind der Kaninchen, dem Menschen, nicht bemerkt wird. Um so das Überleben seines Geheges zu sichern, zwingt er gemeinsam mit der ihm ergebenen Owsla alle Kaninchen in einen lebensfeindlichen Kontrollstaat, in dem die Kaninchen überwiegend unter der Erde leben müssen und nur zu bestimmten Zeiten aus ihren überfüllten Bauen dürfen.

Bigwig, das kräftigste und mutigste Kaninchen der Gefährten, schleicht sich in Efrafa ein und überredet eine Gruppe von Weibchen zur Flucht. Dies ist nicht allzu schwer, denn alle Kaninchen, die nicht zur Owsla gehören, wollen der Unterdrückung in Efrafa gerne entfliehen, was mit einer klugen List schließlich gelingt. Doch Woundwort überfällt daraufhin das Gehege in Watership Down. Nach heftigem Kampf wird Woundwort mittels einer weiteren List getötet und seine Owsla vertrieben.

In dem Buch werden also drei Kaninchengehege mit jeweils unterschiedlicher Organisationsform, also unterschiedlicher politischer Prägung, geschildert: Da ist zum ersten Cowslips Gehege: Die dekadente Überflussgesellschaft, deren Reichtum auf dem Leid anderer basiert, das billigend in Kauf genommen wird, um der eigenen Bequemlichkeit willen. Ihr gegenüber steht Efrafa: Die autoritäre Mangelgesellschaft, in der für die Durchsetzung eines an sich erstrebenswerten Ziels, nämlich dem Überleben in einer feindlichen Umgebung, alle Kaninchen unter ein totalitäres Regime gezwungen werden, das ihnen ein unwürdiges und widernatürliches Dasein abverlangt.

Hinsichtlich der politischen Organisation beider Gehege fällt die extreme Gegensätzlichkeit auf. Auf der einen Seite die Kumpanei mit den Menschen, auf der anderen Seite der Versuch, jegliche Berührung mit dem Menschen zu vermeiden. Hier die Dekadenz und Verweichlichung, dort die Disziplin und Diktatur. Zu diesen beiden Polen verhält sich die praktizierte Ordnung im Gehege von Watership Down als Mittelweg: Ein Leben im Einvernehmen mit der Tradition, in dem zwar die hierarchische Ordnung beibehalten wird, aber nicht um die Kaninchen ihrer natürlichen Lebensweise zu berauben, sondern um diese zu bewahren und zu entfalten.

Bezüglich der ersten beiden Gehege liegt die Analogie mit den zur Zeit der Entstehung des Buches dominierenden Gesellschaftsentwürfen auf der Hand. Das erste Gehege erscheint wie eine Metapher auf den westlichen Kapitalismus: Eine durch Verlust von Tradition und Natürlichkeit geprägte Gesellschaft, die auf Kosten der Verlierer im materiellen Überfluss schwelgt. Efrafa hingegen weist deutliche Ähnlichkeiten mit dem real existierenden Sozialismus und seinen gewalttätigen Diktatoren auf: Um der radikalen Verwirklichung eines Ideals willen werden die Einwohner in ein lebensfeindliches System gezwungen, dass die philanthropischen Ziele der Utopie pervertiert.

Watership Down erweist sich hier als umkämpfter Sehnsuchtsort jenseits dieser beiden Pole. In seiner politischen Organisation ist das neu gegründete Gehege konservativ – Hazel und seine Gefährten orientieren sich an der politischen Struktur ihres Herkunftsgeheges, ohne diese zu hinterfragen –, aber gemäßigt. Die Hellsichtigkeit Fivers wie auch das traditionelle Frauenbild, das in der Geschichte kolportiert wird, liest sich wie eine prämoderne Sehnsucht. Was genau hat es mit dieser Modernitätskritik auf sich?

Der Schrecken von Cowslips Gehege und von Efrafa resultiert aus der jeweiligen Beziehung der Bewohner des Geheges zum Menschen. Die Bedrohung der Tiere, im weiteren Sinne die Bedrohung der Natur durch den Menschen in der Moderne ist das Hintergrundrauschen der Geschichte und die grundlegende Antriebsfeder der Handlung. Da liegt es nahe, nach einer solchen Beziehung auch beim Gehege von Watership Down zu suchen. Hazel hat Watership Down auf Anraten seines hellsichtigen Bruders Fiver ausgewählt. Auf dem einsamen Hügel leben die Kaninchen weitgehend unberührt von dem verhängnisvollen Kontakt mit Menschen. Zudem gibt es eine symbolische Nuance. „Watership Down“ bezeichnet einen Hügel, dessen Form an ein umgedrehtes Boot erinnert. Will man das Bild des gewendeten Bootes metaphorisch lesen, assoziiert man gekenterte Schiffe: Ein Sinnbild menschlichen Scheiterns. Bezieht man dieses Bild auf Tiere, mag es sogar als eine Metapher für die gestrandete Arche verstanden werden. Die Menschen haben nicht gut für die ihnen von Gott anvertrauten Tiere gesorgt. Auf dieser umgeworfenen, umgewerteten Zivilisation soll die neue, bessere Welt entstehen.

Diese neue, bessere Welt ist als Alternative zu den bestehenden politischen Systemen von Kapitalismus und Kommunismus zu denken und sie steht in ganz offensichtlichem Zusammenhang mit einer Kritik an der ungezügelten Umweltzerstörung in der Moderne. Die Entstehung des Buches fällt zusammen mit der Gründungsphase der Ökologiebewegung, die in Reaktion auf die fortschreitende Umweltzerstörung sich zu einer der führenden politischen Strömungen aufschwang und sich als dritter Weg alternativ zu einem ungezügelten Kapitalismus und einem autoritären Kommunismus zu etablieren begann.

Richard Adams hat eine Deutung von Watership Down als politische Metapher energisch zurückgewiesen. Vielleicht war sie tatsächlich nicht intendiert, ist aber Teil der Wirkungsgeschichte des Buches. Dessen Reiz besteht eben darin, dass es in möglichst detaillierter Entfaltung der biologischen Realität von Wildkaninchen und sogar durch die Simulation einer eigenen Sprache der Kaninchen die Position von Tieren einzunehmen versteht, die unter den Menschen zu leiden haben. Dieses Leid – die rücksichtslose Umweltzerstörung – erfolgt in beiden damals weltbeherrschenden politischen Lagern: Kommunismus und Kapitalismus. Die Beschreibung der geschilderten Gehege mit diesen politischen Lagern zu assoziieren, ist im Text so deutlich angelegt, dass diese Assoziation, selbst wenn diese nicht beabsichtigt gewesen sein sollte, die Rezeption des Werkes prägt: Die Moderne, egal welcher Couleur, zerstört rücksichtlos die Natur.

 

  1. Vgl. Kenneth F. Kitchell, Jr.:The Shrinking of the Epic Hero: From Homer to Richard Adams’s Watership Down. In: Classical and Modern Literature, Bd. 7, Nr. 1, 1986, S. 13–30.
  2. Vgl. Ronald Mathias Lockleys: The Private Life of the Rabbit, 1964.

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