Das Foucaultsche Pendel von Umberto Eco

Das Foucaultsche Pendel ist Ecos zweiter Roman. Der erste war Der Name der Rose und machte Eco schlagartig weltberühmt. Der enorme Erfolg seines Debütromans markiert den Beginn einer nicht endenden Welle von Mittelalterromanen, in dessen Fahrwasser auch das benachbarte Genre des Fantasyromans einen unerhörten Aufschwung nahm, was sich in den letzten Dekaden über die Literatur hinaus auf die gesamte Populärkultur ausgedehnt hat. In dem enormen Erfolg des Mittelalter- und Fantasygenres manifestiert sich ein eskapistisches Bedürfnis der Rezipienten von (populärer) Kultur in den vergangenen Jahrzehnten: Leser, Kinogänger, Serienstreamer klinken sich aus der Wirklichkeit aus.

Vielfach vollziehen sich Entwicklungen, die in der Kunst zuerst nachweisbar sind, später in anderen Bereichen der Gesellschaft, also auch in der Politik. Und tatsächlich ist in den letzten Jahren weltweit der Trend zu beobachten, dass immer mehr Menschen sich in ihrem Politikverständnis aus der Wirklichkeit verabschieden und Verschwörungstheorien anhängen. Genau davon handelt Ecos zweiter Roman Das Foucaultsche Pendel, der 1989, sieben Jahre nach seinem Vorgänger erschienen ist.

Eco reflektiert in seinem zweiten Roman, was seinen Erstlingsroman so erfolgreich gemacht hat: Das Entfliehen in entlegene Welten und Zeitalter, die Abwendung von der Vernunft zugunsten des Magischen, das genüssliche Ausmalen okkulter Phantasien. Umberto Eco, beflügelt von seiner eigenen Einbildungskraft und seiner Vorliebe für malerische Klischees, zieht den Leser in die Welt der Verschwörungstheorien, so dass es dem Leser kaum anders als den Protagonisten des Romans ergeht: Er erliegt der Faszination des Irrationalen. Und immer wieder hat man den Eindruck, dass dies wohl auch ein wenig für den Autoren selbst gelten mag. Dessen Kritik am Irrationalen wirkt beinahe wie ein Vorwand, quasi wie ein intellektuelles Feigenblatt zur Bemäntelung seiner Hingabe an das Spiritistische, Okkultistische. Doch bei aller verliebten Koketterie mit dem Okkulten, zielt Eco in die entgegengesetzte Richtung: Es handelt sich bei dem Roman um ein spätmodernes Bekenntnis zum Marxismus.

Der Roman ist gewissermaßen eine Geschichte der italienischen Nachkriegslinken. Seine Chronologie beginnt Neunzehnhundertsiebzig, zum Zeitpunkt maximaler kommunistischer Machtausdehnung, erzählt von einem, der „mitten in der Revolution, oder jedenfalls in der verblüffendsten Simulation der Revolution, die es je gegeben hat, ... nach einem ehrenhaften Glauben“ sucht und ihn in der Überzeugung findet, „dass eine Gesellschaft der Gleichen vor der Tür stehe“. Die Geschichte handelt denn auch nur vordergründig von der okkultistischen Verschwörung, die zuerst als intellektuelle Spielerei von drei Mailänder Verlagslektoren in die Welt gesetzt, dann aber von den spirituell Bedürftigen dieser Welt geglaubt und den dreien schließlich zum Verhängnis wird. Hintergründig handelt sie vom Zerfall der Linken nach der Achtundsechziger-Revolte. Zwar reden der Erzähler und seine Kollegen, allen voran Jacopo Belbo, die eigentliche Hauptperson des Romans, fortwährend von ihren okkulten Deutungen der Geschichte, doch sie leben im detailliert und ausführlich beschriebenen akademischen Milieu nach der Studentenbewegung. So bunt, so liebevoll ist dessen Schilderung, dass der Leser sich irgendwann vor die Frage gestellt sieht, was denn diese quasi historisch-authentische Dokumentation dieser Kulturrevolution mit der literarisch-belletristischen Fiktion der Verschwörungstheorien in der Vordergrundhandlung zu tun hat. Und Antwort ist, dass das eine die Basis für das andere abliefert.

Die Verschränkung beider Ebenen erfolgt über den Arbeitsplatz der drei Lektoren bei einem Verlag, dessen betrügerisches Handwerk darin besteht, naive Autoren ob der vermeintlichen Bedeutsamkeit ihrer Schriften geschickt zu umschmeicheln, um sie dann für das Verlegen ihrer Bücher selbst bezahlen zu lassen, und das auch noch über Gebühr, um so aus den Sehnsüchten und Träumen der Schreiberlinge Kapital zu schlagen. So gestaltet Eco den Verlag wie ein Laboratorium für Ideologien, fest verwurzelt in der materiellen Basis, nämlich der Notwendigkeit, Gewinne zu machen. Angetrieben vom Profitstreben des Inhabers, bietet man zahlreichen obskuren Esoterikern eine Plattform, ihre Phantasmagorien zu veröffentlichen, und akkumuliert so allerlei hermetische Intelligenz.

Eco lässt seine Protagonisten mit den Ideologien spielen bis dieselben ihrerseits zum Spielball der Ideologien werden, wobei Eco der Marxschen Ideologiekritik folgt, wonach Ideologien ihren Charakter der Projektion mit dem der Wirklichkeit eintauschen können, und somit die zu beherrschen verstehen, die sie eigentlich erschaffen haben: und so verfallen die Lektoren immer stärker der Anziehungskraft des magischen Denkens. Zunächst nur aus dem Bedürfnis, ihre Autoren zu verspotten und ihrer eigenen intellektuellen Eitelkeit schmeicheln, tun sie es diesen schließlich gleich und entwerfen einen mit okkulter Geheimbündelei aufgeladenen `Großen Plan´, der von den Templern über die Rosenkreuzer und Freimaurer, über die Illuminaten und Theosophen alles umfasst, was mysteriös und spiritistisch ist. Jene Geheimgesellschaften, jene verlockend exklusiven Zirkel der Initiierten, sind Urheber und Protagonisten des Plans, hinter deren Wirken sechs Gruppen, hervorgegangen aus dem Templerorden, stehen, die sich auf jene Regionen verteilen, die die nachantike europäische Historie geprägt haben: die iberische Halbinsel, England, Frankreich, Deutschland, Russland und das osmanische Reich. Somit wird der Plan zu einem Geschichtsexplikationsszenario, das immer umfassender ausgestaltet und immer überzeugender wirkt, so dass schließlich seine eigenen Schöpfer sich als dessen Geschöpfe begreifen. Im Mittelpunkt steht das Geheimwissen um tellurische Ströme, eine mysteriöse Energiequelle, die den Schlüssel zur Weltherrschaft liefern soll. Um dieser Energie habhaft zu werden, bedürfe es einer speziellen Karte und des von dem Physiker Jean Bernard Léon Foucault entworfenen Pendels, mit dem er im 19. Jahrhundert die Erdrotation nachwies.

Diejenigen, die den großen Plan entwerfen, sind Anhänger des Kommunismus. In der Milieuschilderung der italienischen Linken arbeitet Eco den ideenhaften, den religiösen Charakter des Kommunismus bzw. die Gläubigkeit seiner Anhänger heraus. Nur glauben sie nicht an einen Gott, sondern an den Historischen Materialismus. Und dieser hat durchaus seine Ähnlichkeit mit dem Großen Plan. Beide Ideen gehen davon aus, die Geschichte verlaufe nicht zufällig, sondern zielgerichtet. Im Großen Plan gelingt es, Geschichte nicht einfach nur zu erzählen und zu deuten, sondern zu erklären. Auf Basis einer gelungenen Erklärung lässt Geschichte sich für die Zukunft planen. In diesem Sinne ist der Große Plan ein okkulter Bruder des Historischen Materialismus. Wenn Eco die okkultistische Phantasmagorie als Alternative zur marxistischen Geschichtsdeutung entwirft, dann einerseits um derartige Alternativen zu diskreditieren, andererseits aber auch um ein Bewusstsein zu entfalten, dass der Historische Materialismus in den Gemütern seiner Anhänger nicht nur als Realitätsdeutung, sondern als kanonisierter Glaube fungieren kann. Dann nimmt er religiöse Züge an, wird seinerseits zur Ideologie. Diese Ideologisierung führt zur Erstarrung und zur Degeneration, deren Ausprägung Eco in der Milieuschilderung der Linken beschreibt.

Einer dieser Linken, die Erzählerfigur Casaubon, angelehnt ans Isaac Casaubon, jenen Entmystifizierer hermetischer Überlieferung der Geistesgeschichte, ist an diesen Verlag durch ein absurd anmutendes Buchprojekt mit dem merkwürdigen Titel Das wunderbare Abenteuer der Metalle gekoppelt, das ihn über Jahre in Anspruch nimmt und mit der vordergründig erzählten Geschichte der Entfaltung des Großen Plans so wenig zu tun haben will wie die Milieuschilderung der Spätlinken. Als nach vielen Hundert Seiten das `wunderbare Abenteuer der Metalle´ endlich bei den Korrektoren angekommen ist, soll ein Band über magische und hermetische Wissenschaften herausgegeben werden, um so aus der Esoterikwelle, die in der Mitte der siebziger Jahre einsetzt, Profit zu ziehen; und zwar unter Verwendung des Materials des Buches über die Metalle. Denn, wie sich der Verlagschef ausdrückt, „die Materie wird gerührt und geknetet, man streut Parmesan drauf, und raus kommen Quarks, Schwarze Löcher, zentrifugiertes Uran oder was weiß ich!“ Es soll auch was fürs Auge bieten, „links der alte Stich von Paracelsus, der Zauberer in seiner Alchimistenküche mit seinen Destillierkolben, auf Goldgrund, und rechts die Quasare, der Mixer für schweres Wasser, die gravitational-galaktische Antimaterie“. Die Anspielung auf den Alchimistentraum, aus Metall Gold herzustellen, ist ebenso wie der merkwürdige Titel des Buches zur Geschichte des Metalls als auch dessen völlig widersinnig wirkende Verknüpfung mit den hermetischen Wissenschaften primär als Metapher zu verstehen. Das Buch über die Metalle ist die materielle Basis, die die Erzählerfigur mit dem Verlag verknüpft: damit verdient Casaubon sein Geld. Und genau darum geht es. Das `wunderbare Abenteuer der Metalle´ ist eine Anspielung auf die im ersten Band des Kapitals von Marx beschriebene Genese der Geldform, die sich schließlich an die Edelmetalle knüpft, weil diese die entsprechenden Naturaleigenschaften mitbringen, die sie zur Geldform, also als allgemeines Warenäquivalent, tauglich machen. Und weil die Geldform als besonderer Ausdruck der Warenform materialisierter Träger von nicht sichtbaren, aber gleichwohl realen Arbeits- und Austauschbeziehungen ist, die sich im Bewusstsein der Menschen nicht etwa als menschliche Projektionen, sondern als der Ware bzw. dem Geld von Natur aus zukommende Eigenschaften darstellen, haften Ware und Geld ein geradezu magisch erscheinender Fetischcharakter an.

Wenn Casaubon und seine Kollegen sich von Kapitel zu Kapitel auf Entdeckungsreisen in die Sphäre des Magisch-Spirituellen begeben und hier auch allerlei entdecken, so bleiben sie doch immer im Zweifel, welchen Wert und vor allem welchen Wirklichkeitsanspruch sie diesen Erlebnissen beimessen wollen und sollen. Eco will damit sagen: Was auch immer an dem Wunder der Magie dran sein mag, es kann an Einflussmacht und Wirkungsgewalt auf das wirkliche Leben niemals mit der `realen Magie´, nämlich der unvermeidbaren Magie der Ware-Geld-Zirkulation konkurrieren. Diese ist die unaufhebbare Grundlage von allem, und keine noch so prickelnd exotisch-magische Faszinationen wie Trancezustände, Geisterbeschwörungen oder Hellsichtigkeit könnten diese Grundlage in Frage stellen.

In der gleichen Weise wie Casaubons Verlagsmitarbeit und somit sein Eintauchen in das Okkulte auf seiner Mitarbeit am `wunderbaren Abenteuer der Metalle´ basiert, fußt die Erzählung der Romanhandlung auf der Geschichte des italienischen linksakademischen Milieus in den 70er Jahren. Und in dieser Hinsicht ist der gesamte Roman zu deuten: In der Erzählstruktur finden sich immer wieder Elemente, die sich zu einander verhalten wie Basis und Überbau, und im Verlauf der Erzählung kristallisiert sich allmählich heraus, dass mit der zunehmenden Erosion der Basis, sprich der Degeneration der italienischen Linken, die Voraussetzung geschaffen wird für den Schluss des Buches, wonach der Überbau, sprich die Phantasmagorie, selbst gestaltend wird innerhalb der Geschichte.

Eco scheint eine Analogie zum historischen Prozess zu beabsichtigen. Jener wird von ihm gemäß der Dialektik des Historischen Materialismus gedeutet, der sich aber solcherart darstellen kann, dass bei entsprechender Veränderung der materiellen Basis die Ideologien – und seien sie komplett phantastisch und irrational – selbst geschichtsmächtig werden können, wenn es denn nur genügend Leute gibt, die sie ernst nehmen. So wie jene vermeintlichen Nachfolger der Templer im Roman, die süchtig nach allem, was nach Größe und Geheimnis tönt, fanatisch an den Großen Plan zu glauben beginnen und sich schließlich Jacopo Belbos bemächtigen und ihn in Paris, am Ort des Pendels, zur Herausgabe der Karte über jene geheimnisvollen tellurischen Ströme zwingen wollen, um so dem Rätsel jener Kräfte auf die Spur zu kommen. Und der Zauberlehrling Belbo sieht sich schließlich vor ein groteskes Okkultistentribunal gestellt, das, beseelt von der Wahrheit der Lüge, die Belbo der Welt aufgetischt hat, das Unmögliche von ihm verlangt, nämlich den Beweis der Richtigkeit des Großen Plans und ihn andernfalls mit dem Tod bedroht. Und so baumelt er schließlich am Ende eines absurden und außer Kontrolle geratenen Rituals am Foucaultschen Pendel: Opfer der Geister, die er rief.

Das Szenario hat symbolische Bedeutung: Belbo baumelt am Pendel, weil er sich vom Historischen Materialismus abgewandt hat. Es sind ja nicht nur die Anderen, die an den Großen Plan glauben. Auch die drei Schöpfer des Plans sind mehr und mehr geneigt, ihn mit dem Charakter einer Wahrheit zu adeln. An der Figur Belbos wird diese Neigung durch den nagenden Dauerzustand einer unerfüllten Sehnsucht motiviert, sein durch und durch sarkastisches Wesen des gehässigen Zweiflers lässt nur allzu deutlich den enttäuschten Wahrhaftigkeitssucher erkennen. Das Symbol dieser Wahrhaftigkeit ist das Bild des Trompetespielens, das sich durch den ganzen Roman schleppt; die mit religiösen und militärischen Implikationen aufgeladene Trompete hat sich in Jacopo Belbos Vorstellungswelt eingebrannt, der rückblickend immer wieder von seiner jugendlichen Sehnsucht berichtet, dieses Instrument spielen zu wollen: Sei es um zur Attacke zu schmettern oder um Cecilia, dem nach der Patronin der Musik benannten Schwarm seiner Jugend zu imponieren.

Auf den letzten Seiten kommt der Roman wieder auf das Trompetenspiel zu sprechen. In einer als `Schlüsseltext´ bezeichneten Tagebuchaufzeichnung aus der Jugendzeit Belbos findet sich die Schilderung, wie sich dem Jungen schließlich der Traum erfüllt. Und er ist nun berufen und an ihm ist es nun, diese Berufung zu rechtfertigen, sich zu bewähren, als es gilt, zwei im Kampf gegen die deutsche Wehrmacht und ihre italienischen Verbündeten erschossene Partisanen zu beerdigen. An ihrem Grab muss der junge Belbo den gefallenen Kameraden die letzte Ehre erweisen; muss vor aller Augen und Ohren die Trompete spielen; darf allen zeigen, was in ihm steckt; das erste und das letzte Mal in seinem Leben. In diesem Moment, in dem sich sein lang gehegter Kindheitswunsch des Trompetespielens endlich erfüllt, als er sich den toten Genossen würdig erweisen muss, als er sich keinen Fehler leisten kann, den er sich später nie vergeben würde, in diesem Moment, in dem er den Ton länger und klarer hält, als es alle und auch er selbst für möglich gehalten hätten, in diesem Moment wird er von einem feierlichen und berauschenden Gefühl der Inbrunst überwältigt, als stände die Sonne, als stände die Welt still. In diesem Moment hebt er sich über den Lauf der Zeit und erlebt für einen Augenblick das Gefühl der Ewigkeit: so tief und anrührend prägt sich ihm dieser Zustand des Vollkommenen, des Kostbaren, des Wunderbaren, des Schönen, in seine Seele ein, dass sein ganzes restliches Leben im Schatten dieses Ereignisses steht.

Die Metapher hat klare Konturen: Sie zeigt vor allem eines, nämlich dass das, was es Belbo ermöglicht, diesen wunderschönen, beinahe religiös überhöhten Zustand empfinden zu können, immer schon vorbei, immer schon untergegangen, also längst verloren ist. Nicht allein, weil es sich in seiner Vergangenheit, in seiner frühen Jugend ereignet hat, sondern – es wird hier ein Traum zu Grabe getragen: Der Traum, durch die Befreiung vom Faschismus zur Revolution fortschreiten zu können; der Traum, im Kampf die existentielle Erfahrung von Opferbereitschaft und Heldenmut zu machen. Es ist nicht nur eine Metapher für die Sehnsucht nach dem erstorbenen Ungestüm und der unwiederbringlichen Unschuld der Jugend, welche die alternden Revolutionäre auf ihrem Marsch durch die Institutionen hin zu Professorengehältern und Pensionsansprüchen erfasst, sondern auch eine historisch zu lesende Reminiszenz an das Selbstverständnis der italienischen Linken, die sich aus dem Mythos der Resistenza speist. Dieser Sieg über Mussolini, die Selbstbefreiung vom Faschismus, ist als Quell revolutionärer Sehnsucht für die radikale Linke Lebenselixier und Fluch zugleich, lässt er doch die nachgeborenen Revolutionäre immer mit der Empfindung zurück, dieser Konkurrenz nicht standhalten zu können, ja nicht einmal wirkliche Revolutionäre zu sein, sondern allenfalls Revolutionssimulanten. Weil eben der Sieg der Linken, dieser ekstatische Moment, diese Erfüllung allen politischen Strebens und Verlangens, dieser Kristallisationspunkt individueller und kollektiver Sehnsüchte nun bereits der Vergangenheit angehört und er darum von den zeitgenössischen Revolutionären nicht eingeholt, geschweige denn übertroffen werden kann, so liegt hierin die Gefahr, diese Sehnsucht, wenn sie sich im Kampf für die Arbeiterklasse, für die Revolution nicht stillen lässt, anderweitig zu befriedigen.

Diese Sehnsucht anderweitig zu befriedigen, ist das, was die Intelligenzija in der Postmoderne betreibt. Anstelle der zunehmend als doktrinär und mechanizistisch empfundenen kommunistischen Geschichtsauffassung fordert sie eine Freiheit im Denken jenseits der marxistischen Dogmen. Doch wenn der Historische Materialismus als die beherrschende Interpretation des Geschichtsverlaufs verworfen wird, kann jeder seinen Fixpunkt zur Beurteilung des politischen Weltgeschehens selbst wählen: jeder kann sein Pendel aufhängen, wo er will. Die vielbeschworene postmoderne Beliebigkeit des Anything goes droht im kompletten Unsinn zu münden und Okkultismus stünde auf einmal gleichrangig neben der Wissenschaft.

Kein anderer Philosoph eignet sich besser als Metapher der Pendelbewegung zwischen individualistischer Beliebigkeit und Marxismus als Michel Foucault, dessen Wirkung zum Erscheinungszeitpunkt des Romans überragend, aber dessen Rezeption und insbesondere dessen Stellung zum Marxismus unentschieden war. Er war derjenige Philosoph, der paradigmatisch für die Entdogmatisierung und zugleich auch für die Krise des Marxismus stand. Einerseits wurde er als Zeuge für die Aktualität des Marxismus herangezogen, der seine Weiterentwicklung sicherte und ihn aus der mechanizistischen Verknöcherung der Dogmatiker befreite; andererseits musste er als Schlüsselfigur zur Überwindung des Marxismus herhalten. An Foucault scheiden sich im wahrsten Sinne des Wortes die Geister. Deswegen hat Eco ihn zum Namenspatron seiner okkulten Analogie auf das postmoderne Denken gewählt.

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